Leseprobe

1. Es gibt einen Plan

2008 habe ich angefangen, über eine Unternehmung, wie ich sie hier versuche zu beschreiben, nachzudenken. Hinter mir und meiner Familie lag zu dieser Zeit eine schaffensreiche, aber auch extrem anstrengende Zeit. Aus heutiger Sicht ist das alles unfassbar, was wir bis dahin auf die Beine gestellt haben.

Das neu entstehende, buddhistische Nonnenkloster in Thamo


Meine Zeit der großen Shoppingcenter war zu Ende gegangen. 1998 ging es für mich mit dem Anger 1, dem Sporthaus und dem Pressehaus in Erfurt los. Eine Bewegung, die mir dreieinhalb Jahre Arbeit nicht nur in Erfurt, sondern unmittelbar vor der eigenen Haustür, bescherte. Schöne Jahre waren das und erfolgreich in jeder Hinsicht. Ich habe viele Leute kennengelernt und wurde Jahr für Jahr stolzer darauf, für namenhafte Architekten, Projektsteuerer und Bauherren arbeiten zu können. Es war ein unglaublicher Spannungsbogen, den ich schlagen konnte. Aber nur, weil mir meine Familie den Rücken stärkte. Und diese Bewegung hörte so schnell nicht auf. Über Zwischenstationen wie der Thüringer Aufbaubank in Erfurt ging die Reise weiter zum Einkaufszentrum „Stadtpalais“ nach Potsdam. Auch ein tolles Projekt. Selbst für die Familie. Potsdam wurde Dank der schönen Betriebswohnung dort auch zu einem Treffpunkt der Familie. Das haben wir gern genossen und denken heute noch viel daran zurück. Noch während dieser Zeit haben wir meine persönliche Mondlandung angeschoben. Leipzig rief! Das alte Karstadt-Warenhaus umzubauen, war das Projekt schlechthin zu dieser Zeit. Deckelbauweise auf 8.500 m², was bedeutet, gleichzeitig nach oben und nach unten zu bauen. Mein späterer Reisebegleiter war auf diesem Megaprojekt ein unentbehrlicher Kollege, so etwas wie meine rechte Hand als Planungskoordinator. Er hat das Projekt in der Akquisition maßgeblich geführt und wollte an der Umsetzung des Vorhabens unbedingt dabei sein. Diese Baustelle war sozusagen die Endstufe dessen, wovon ein Bauingenieur träumen kann. Wir starteten im Februar 2004. In Leipzig war zu diesem Zeitpunkt die Hölle los. Die ganze Innenstadt war eine einzige Baustelle. Neben unserem Umbau wurde auch unter anderem der Citytunnel gebaut. Und noch so vieles andere mehr. Es war aber auch die Zeit großer Sportereignisse. 2004 bewarb sich Leipzig um die Olympiade, die leider an eine andere Stadt vergeben wurde. Der Conferderation-Cup kam im Folgejahr 2005 in unsere Stadt. Gekrönt wurde dies abschließend dadurch, dass in Leipzig 2006, dem Jahr der Fertigstellung unseres Einkaufszentrums, Leipzig sechs Spiele der Fußballweltmeisterschaft ausrichten konnte. Es lag eine irre Energie in der Stadt, die uns einen richtigen Schub gab.

Bedingt dadurch, dass eben alle Vorhaben in jeder Hinsicht so erfolgreich und vorfristig fertiggestellt wurden, haben wir uns in der Shoppingcenterszene einen richtigen Namen machen können. Auf die Erfurter HOCHTIEF ist Verlass!

Das sprach sich bis nach Erlangen rum. Also nichts mit mal zwischendurch ausruhen. Es ging direkt mit meinem Begleiter Bernd Albrecht aus Heiligenstadt und Teilen meiner Mannschaft dorthin, wo die Kollegen aus München beim Neubau der Erlangen- Arcaden so richtig in Schwierigkeiten geraten waren. Da der Bauherr ein ehemaliger Kollege von uns war, kannte er natürlich unsere Schlagkraft. Also traten wir an, diese Baumaßnahme noch pünktlich fertigzustellen. Dies war wirklich kein Zuckerschlecken! Dank unserer gesammelten Erfahrungen auch im Umgang mit Kunden in schwierigen Zeiten haben wir im September 2007 das Objekt mit einer passablen Qualität, wenn man von einer etwas inkontinenten Sprinkleranlage absieht, an unseren Bauherren übergeben. Aber wir konnten kaum noch stehen. Die Jahre fingen an, an der Substanz zu zehren. „Wenn Sie mit Erlangen fertig sind, können Sie sich sechs Wochen lang ausschlafen, Herr Zieschang.“, wurde mir von unserem damaligen Vorstand versprochen. Pustekuchen! Wie immer. Meine Karstadt-Bauherren meldeten sich wegen der Rheinhallen in Köln beim Vorstand. „Wann kommt denn endlich Herr Z. aus E. hierher und hilft uns?“, hat sich mein inzwischen leider bereits verstorbener Stammkunde beim Vorstand erkundigt. Als ich das zu Hause beichtete, lief selbst bei meiner Reni das Fass ein bisschen über, gelinde ausgedrückt. Genau das war genau das Problem geworden. Ich sah die Kinder in dieser so wichtigen Phase eigentlich nicht wirklich aufwachsen. Alle Probleme und Problemchen mussten am Wochenende oder am Telefon gelöst werden. Auch die sozialen Kontakte zu Freunden und Bekannten drohten vollends abzureißen. Es wurde immer schwerer, ein gutgelaunter Ehemann, Papa und Kollege zu bleiben. Das Leben rauschte nur noch durch. Ich erkannte mich auch selbst nicht mehr. Mal von den neunzig Kilo abgesehen. Es musste da noch etwas passieren, bevor mir der Sargdeckel ins Gesicht fällt und ich diesen Deckel mit den Worten: „Stopp mal! Da ist doch noch was!“, von innen aufhalten muss.

Die erste Erlösung stellte sich ein, als ich 2009 den Wettbewerb in Moers für den Neubau eines Bildungszentrums und eines Rathauses gewann. Ein schönes Projekt. Alles war überschaubar. Die Aufgabe, die Monatsumsätze, die Technik, das Team, eben alles. Plötzlich war sie da: die Zeit zum Nachdenken. Der Alltag ließ sich wieder besser strukturieren. Und wenn ein Mensch wie ich zu viel Zeit hat zum Nachdenken, kommt meistens „Unfug“ wie dieser bei heraus.
Inzwischen hatte ich mich mit Sport wieder in die alte Form von ganz früher bracht. Ich konnte wieder Fahrrad fahren, diesmal sogar Rennrad oder Mountainbike und ausgiebig Joggen. Urlaub machen mit Reni, gemeinsame Freizeit und Erlebnisse mit den inzwischen groß gewordenen Kindern- kurzum das Leben und meine Kreativität kehrten in einen ausgenuckelten Projektleiter, der nur noch funktionierte, zurück. Gut, Moers liegt weit weg von daheim, aber das wiedererwachte Lebensgefühl hat das wettgemacht. Während dieser Zeit kommt man natürlich weiter in der Gegend rum und lernt fleißig neue Leute kennen. Leute mit Hobbies ganz unterschiedlicher Art. Der eine segelt, der andere tut dies, der nächste macht was anderes. So kam ich auch durch Reportagen, Kinopostern wie für „Nangar Parbat“ und Gespräche auf Messen in München irgendwie auf diese Idee, mich zu informieren, wie man überhaupt zum Everest kommen kann. Wer denkt, dass einem Internetrecherchen dabei helfen, irrt. Das ging zumindest für mich schief. Reisebüros bieten solche Touren für den Schnelldurchgang an. Man trifft sich auf dem Flughafen, rennt los, kennt sich nicht und soll sich doch aufeinander verlassen können. In diesen Höhen? Ohne Akklimatisation? Wie soll das funktionieren?

Das konnte ich mir nicht vorstellen.

Während ich so rumüberlegte und mein Wissen so nach und nach um kleine wichtige Fakten bereicherte, kam ich auch mit meinem Kollegen Bernd ins Gespräch zu meinen Hirngespinsten. Er gab mir das Gefühl, dass auch er so seine Ambitionen zu solchen Verrücktheiten hatte. Ich fand das interessant, weil sich mittlerweile aus einer sehr guten, einmalig fast, Kollegenbeziehung eine gute Kameradschaft entwickelt hat, konnten wir ebenso gut über Himalaya-Expeditionen reden. Ich weiß es nicht mehr so ganz genau, aber ich glaube seine Schwester hat schon mal dem Nepal einen Besuch abgestattet. Zumindest hat Bernd seitdem eine kleine Gebetsmühle in seinem Büro liegengehabt. Da auch er vom umher Vagabundieren die Nase voll hatte, hat er die Leitung des Projektservices unserer Niederlassung in Erfurt übernommen. Dass er mir kurz vor Antritt unserer Reise genau diesen Job vererben würde, konnte damals kein Mensch auf dieser Welt ahnen. Am allerwenigsten ich.

Ich lernte und begriff folgendes, was sehr, sehr wichtig ist. Werde ich heute darauf angesprochen, wie man ein Unternehmen dieser Art angeht, ist meine Antwort stets gleichlautend.

Drei Fragen am Anfang richtig zu beantworten, ist der Schlüssel zum Erfolg, ahnte ich und das bestätigte sich wirksam.

Erstens: Ich wollte unbedingt nur mit einem Reiseführer meines Vertrauens starten.

Zweitens: Wegen der Höhenanpassung wollte ich mir Zeit für diese Reise nehmen.

Drittens: Ein guter Freund an meiner Seite kann helfen, wenn was passiert.

Für mich stand irgendwann 2012 fest, dass jetzt die beste Zeit gekommen ist, einen kleinen Egotrip zu riskieren. An und für sich schon sowas wie höchste Zeit. Die Kinder sind raus aus der Schule. Reni und ich sind nun auch schon Großeltern. Ich bin noch keine fünfzig und fit. Soviel unterwegs bin ich auch nicht mehr. Alles wird freier planbar. An dem Schulkalender von Enkelchen Jannis brauchen wir uns ja im Moment noch nicht zu orientieren. Allerdings wurde ich mit der Zeit nicht mehr deutlich schlauer. Da half mir der Zufall. Heute muss ich darüber wirklich schmunzeln. Dienstlich hat es sich ergeben, dass ich die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt akquisitorisch betreue. Das brachte Arbeit im Bauindustrieverband dieser Region mit sich. Also erhielt ich eine Einladung zu einem „Bautag Sachsen/Sachsen-Anhalt“ am 1. Juni 2012. Eigentlich mehr ein Festakt mit Abendveranstaltung und Übernachtung. Irgendwie müssen ja die Mitgliedsbeiträge unter das Volk. Aber die Veranstaltung sollte um 13.00 Uhr in Dresden losgehen. Außerdem war es ein Freitag. Grund genug, Reni zu fragen, ob wir nicht den Samstag noch dranhängen, uns eine eigene Übernachtung suchen und uns somit ein schönes Wochenende in dieser Stadt gönnen. Wir mögen Dresden sehr. In der jüngeren Vergangenheit haben wir zweimal das Weihnachtsoratorium in der Kreuzkirche angehört. So kann man sich wunderbar auf die Adventszeit einstimmen und Weihnachtsmärkte besuchen. Als wir dabei einmal meinen Schwager Norbert und seine Sabine bei uns hatten, sind wir am Sonntag noch nach Altkötzschenbroda auf den Weihnachtsmarkt gefahren. Ich glaube, die zwei können den Ortsnamen immer noch nicht richtig aussprechen. Genauso taten wir es. Reni nahm Urlaub und schon ging es ab nach Dresden. Während der Veranstaltung zog es Reni in die City, die in der Nähe lag. Zeit zum Bummeln. Das Wetter lud dazu ein. Das Programmheft habe ein paar Mal überflogen. Mich interessierte eigentlich nur der Vortrag am Ende der Veranstaltung. Ein gewisser Dr. Olaf Rieck wollte darüber erzählen, wie er einen bis dahin namenlosen Berg im Himalaya entdeckte, seine Besteigung plante und diesem Berg demzufolge auch einen Namen geben durfte. Das klang gut, richtig gut. Eineinhalb Stunden waren dafür vorgesehen. Nach langem Warten begann er seinen Vortrag. Der Saal wurde abgedunkelt und schon das erste Bild ließ alle Zuhörer verstummen. Als dann Olaf seine Stimme erhob, habe ich gedacht: „Wau, den schickt dir der Himmel!“. Der erste Mensch, den ich erleben konnte, der schon dort war, wovon ich nur so träumen konnte. Das nenne ich Schicksal! Er stand da an seinem Pult, der Laptop aufgeklappt, im Anzug und berichtete so faszinierend davon, wie er diesen Berg bei der Durchsicht seiner Fotos am Rechner morgens daheim entdeckte. Er sei so angetan gewesen, dass er eine Besteigung planen musste. Normalerweise ermüdet ja der Betrachter irgendwann ein wenig, wenn sich schier endlos Bilder eines an das andere reihen und gezeigt werden. So nicht bei Olaf. Jedes Bild ist eine Sensation. Man hat nicht einmal ein Räuspern gehört. Auch seine Rhetorik begeisterte mich. Dieser schmächtige Mann wirkt zäh und willensstark. Einer, der es durchzieht. Jemand, der Schmerzen aushalten kann, aber auch Vertrauen gibt. Völlig frei sprechend berichtete er über die Vorbereitungen seiner Expedition im Kreise seiner Vertrauten. Auch über den Ärger mit Behörden. Höhen und Tiefen, Erfolge so wie Rückschläge – spannender geht es nicht. Am Ende seines Vortrages kam der Hammer. Olaf präsentierte eine endlos laufende Videoschleife, die er auf dem Gipfel aufnahm.

Er sagte dabei sinngemäß folgendes:

Liebe Zuhörer! Ich könnte jetzt den Versuch unternehmen, Ihnen zu erklären, was groß ist. Ich werde es nicht schaffen, weil man sich das einfach nicht vorstellen kann. Aber vielleicht gibt es einen Weg. Also stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem Berg, der ist 6.200 m hoch. Sie sehen sich um und erblicken die Wolken drei Kilometer unter sich. Wenn Sie jedoch nach oben blicken, merken Sie, dass um Sie herum die Berge nochmal 2.000 m höher sind, als der Ort, an dem Sie sich befinden. Das ist nicht nur groß, sondern auch großartig!

Heute heißt dieser Berg Amphu Lapsta Tsho. Peak Rieck wäre auch gegangen, wird er später auf Nachfrage antworten, aber das passe nicht so recht in die Umgebung dieses Berges.

Päng! – Das war’s. Dieser Dr. Rieck kann die Antwort auf meine Frage 1 werden. Aber macht er so etwas überhaupt, so einen Dilettanten wie mich an der Seite zum Mount Everest führen? Aber es war die Gelegenheit, ich danach zu befragen. Blick auf die Uhr – Reni ist ja noch in der Stadt. Also ging ich in den Anpackmodus. Kurzes Nachdenken – Gedanken sammeln – Auf geht’s! – Wo ist der Kerl? Klar, der packt seinen Kram zusammen. Kram, auweia, wenn er das liest oder hört. Egal, inzwischen kennt er mich ja gut. Da sah ich ihn am Hoteleingang. Sein Kombikofferraum stand offen, sein Equipement davor. Ich ging zu ihm und begrüßte ihn. Nachdem ich mich kurz vorgestellt habe, drückte ich meine Begeisterung für seinen Vortrag aus. Da es Freitagnachmittag war befürchtete ich, dass er schnell abreisen möchte. Erst später erfuhr ich, dass er noch die Abendveranstaltung ausstaffierte mit Biwak und so weiter. Später, das heißt, dass die Mitarbeiterin vom Bauindustrieverband der Geschäftsstelle Chemnitz Kerstin Poznanski unseren Olaf engagiert hatte. Dass sie und ihr Mann später meine Reisebegleitung werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt kein Mensch, am allerwenigsten ich, wissen. Da kommt man ja auch nicht drauf. Naja, jedenfalls vertiefte sich unser Gespräch schnell. „Einmal dem Everest „Guten Tag!“ sagen, Dr. Rieck.“, versuchte ich auf den Punkt zu kommen. Er lächelte. Ich redete weiter. Eine Tour dorthin über ein Reisebüro zu buchen, schien mir fraglich. Den Reiseführer des Vertrauens kennenzulernen, sei für mich von grundlegender Bedeutung. Ich sprach auch von der sicherlich langen Vorbereitungszeit, die dieses Unternehmen sicher bräuchte. Einen Monat lang vielleicht. Olaf hörte zu und nickte gelegentlich. Achso, dass ich noch einen Kumpel dabei haben wollte. Es kann bestimmt auch mal etwas schief gehen. Da hat so ein Kumpel eher die Familienanbindung als ein Reiseleiter.

Olaf wird auf unserer Reise ausreichend Gelegenheit haben, uns zu zeigen, dass er sich mit großem Einsatz um jeden von uns sorgen wird. Aber auch dazu später mehr.

Um mich nicht um Kopf und Kragen zu reden, stoppte ich erst einmal mein Anliegen. Ich denke, er ahnte schon etwas, weshalb er kurz und knapp sagte: „Herr Zieschang, also wenn Sie Lust haben, nehme ich Sie im Februar oder März 2014 mit.“ Das war’s! Mir war auf der Stelle klar, dass das die (!) Gelegenheit war zuzuschlagen. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr.

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